Abschreckung statt Anziehung
Die Geschichte von Jessica Thomet
In meiner Kindheit war ich das typische Mädchen: Ich fuhr mein Bäbi im Wägeli spazieren und spielte «Mutter & Kind». Warum ich das tat, weiss ich nicht. Wahrscheinlich weil man es von der Gesellschaft so vorgelebt bekommt und die Spielzeugabteilungen damals wie heute voll sind mit Kinderwagen, Puppen und Puppenzubehör. Der Einfluss auf Mädchen, dass Muttersein das «einzig Wahre» ist, wird schon seit Generationen als erfolgreiche Marketingstrategie angewendet.
Als ich in meinen Teenagerjahren mit 16 meinen ersten Freund hatte, sprach auch ich davon, wie es wäre «wenn wir dann mal Kinder haben». 5 Jahre waren wir zusammen. Ein Jahr nach unserer Trennung kam er bei einem Autounfall ums Leben, was meine Welt ziemlich erschütterte. Zudem liessen sich meine Eltern kurz zuvor nach 25 Jahren Ehe scheiden. Diese beiden prägenden Ereignisse mit Anfang 20 haben meine Sicht auf Familie sicher stark beeinflusst. Aufgrund der damaligen Geschehnisse befasste ich mich jedoch in dieser Zeit nicht wirklich intensiv mit dem Thema Kinder.
„Als in meinem Umfeld die ersten Freundinnen Kinder bekamen, merkte ich, dass dieses Happening absolut nichts in mir auslöst.“
Ich mag Kinder, in geringen Dosen, das ist nicht der Punkt. Ich merkte einfach für mich, dass ich kein Bedürfnis hatte, das auch haben zu wollen. Damals schenkte ich diesem fehlenden Kinderwunsch nicht viel Beachtung. Ich wollte es einfach nicht.
Mit 27 Jahren lernte ich meinen heutigen Partner kennen. Er war 34 Jahre alt, geschieden und hatte 2 Kinder (damals 3 und 5 Jahre alt). Mein erster Gedanke: «Nein, warum ausgerechnet ich?». Ich wusste aber, dass er mir gefiel und war bereit, dieses Abenteuer einzugehen.
Die Beziehung zu ihm hat meine Entscheidung auf ein kinderfreies Leben sicherlich mitbeeinflusst. Ich habe die schönen Seiten des Kinderhabens und «Elternseins» gesehen und wie man sich ungewollt mit der eigenen Kindheit auseinandersetzen und reflektieren muss. Ich habe aber auch erlebt, wie sehr die eigene Freiheit und Unabhängigkeit mit dem Kinderhaben leidet.
„Diese Verantwortung, Sorge und permanente Präsenz, die sich durchs Kinderhaben ergeben, schreckten mich dermassen ab, dass die Vorstellung kinderfrei durchs Leben zu gehen immer interessanter wurde.“
An meiner Faszination für Kinder hat sich seither nichts geändert. Ich habe mittlerweile 2 Patenkinder und auch die beiden Kids meines Partners sind ein fester Bestandteil meines Lebens. Das ist völlig ok. Aber dieses enorme Glücksgefühl und Herz öffnende, wenn ich ein Baby oder Kind sehe, ist bei mir nach wie vor nicht vorhanden. Ich habe dieses Gefühl eher bei Hunden. 😄
Jessica Thomet
1989 in Bern geboren, hat sie 2016 ihre Leidenschaft fürs Fotografieren in New York City entdeckt. Heute ist sie als Hochzeitsfotografin in der Schweiz tätig.
Für das eigens initiierte Projekt «childfree by choice» porträtierte sie 6 kinderfrei lebende Frauen.