Von Tradwives und Soft Girls

“Back to the 50ies” ist das Motto der Tradwives und Soft Girls, die aktuell in aller Munde sind (oder zumindest in meiner Bubble 😉). Das sind Frauen, die sich mit Inbrunst 100% dem Haushalt, der Kindererziehung und dem Glücklichmachen des Mannes widmen. Frauen in hübschen Schürzen, die Brot backen, den Garten pflegen, die meist mehreren Kinder herzig anziehen, dem Mann nach der schweren Arbeit eine Wohlfühloase bieten. Wie in den guten alten Zeiten halt. Oft ist das Ganze noch religiös konnotiert (v.a. bei den Tradwives aus den USA). Diese Frauen sind so ziemlich das komplette Gegenteil von mir und wohl den meisten kinderfreien weiblich gelesenen Personen in unserer Community…

Man könnte nun diese Frauen einfach ausbuhen, ihnen Rückständigkeit vorwerfen. Doch so einfach ist es leider nicht. Unser System ist ausgelegt auf das klassische Familienmodell. Die Organisation mit Kita, Hort, Schule, Hobbies der Kids und Teilzeitpensen ist herausfordernd und anstrengend, führt zu Diskussionen, Unmut und Stress. Es ist einfacher, wenn jemand (meist die Frau) zu Hause bleibt und den Haushalt, die Kids etc. schmeisst. Denn schlussendlich ist das auch Arbeit – einfach dummerweise keine Entlöhnte. Zudem lohnt es sich finanziell meist mehr, wenn jemand (oft der Mann, der ja dank dem Gender-Pay-Gap eh mehr verdient) 100% Vollgas im Job gibt. Eine Person bringt mehr Lohn nach Hause, als wenn zwei in einem kleineren Pensum arbeiten und ggf. keine Führungsposition innehaben können.  Auch steuerlich ist dieses Modell sinnvoll.

Alles können - alles wollen?

«Frauen können alles» - das ist das Narrativ, mit dem ich aufgewachsen bin. Es suggeriert einerseits, dass Frauen emanzipiert sind, dass wir alles werden können, was wir wollen, sei es Pilotin, Schreinerin, Chefin, CEO, the sky is the limit! Und alles geht auch mit Kindern, Vereinbarkeit ist kein Märchen mehr, sondern Realität. Dieses Mindset löst natürlich auch einen gewissen Druck aus. Denn jetzt wo wir ja alles können, sollten wir das doch auch WOLLEN. Studieren, Karriere machen, selbstständig sein, uns von Abhängigkeiten lösen, emanzipieren. Und das erschöpft und überfordert.

Franziska Schutzbach schreibt in ihrem neuesten Buch “Revolution der Verbundenheit - wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert” (das ich übrigens sehr empfehlen kann):

Wir haben versucht, uns anzupassen, wir haben uns bemüht, tauglich zu sein für den Arbeitsmarkt, für Führungspositionen und politische Ämter, wir haben an den Fortschritt geglaubt, daran, dass es immer besser wird, dass wir alles erreichen können, wenn wir uns nur genug anstrengen (...) Das Ergebnis war nicht Freiheit, sondern Erschöpfung.
— Franziska Schutzbach

Schutzbach übt Kritik an der Gleichstellung; Frauen sollen gleich sein wie Männer, die gleichen Rechte haben, die gleichen Chancen, aber alles passiert halt immer noch im System, in den Strukturen, die von und für Männer gemacht wurden. Viele Frauen, allen voran Mütter, sind erschöpft. Von dem her ist der Trend zu Tradwives und Soft Girls irgendwie verständlich.

Noch nicht so lange her

Wir leben in einer patriarchal geprägten Welt, das ist nun mal so. Alles, von Medizin über Städtebau und Sicherheitsgurte im Auto, sind auf Männer abgestimmt, it’s a man’s world. Tradwives und Soft Girls passen sich dem an und nutzen das System aus. Auch irgendwie ein Bossgirl-Move, nicht? Und grad, wenn ich wieder erschöpft von einem langen Arbeitstag nach Hause komme, dann merke, dass ich noch Einkaufen, das Klo putzen und Wäsche machen muss, denke ich manchmal, dass Tradwife vielleicht was für mich wäre ;)

Aber leider verändern wir durch Rückzug halt nichts… Und v.a. gehen so viele hart erarbeitete Errungenschaften der letzten Jahre verloren. Das vergisst man schnell, in unserer ach so schön gleichberechtigten Welt. Hier gerne ein paar Zahlen zur Erinnerung (Quelle: humanrights.ch):

  • Erst seit 1971 dürfen Frauen in der Schweiz wählen und abstimmen. 

  • Seit 1988 gilt der Mann nicht mehr automatisch als “Familienoberhaupt” (das ist MEIN Geburtsjahr).

  • 1996 wurde das Gleichstellungsgesetz eingeführt, also z.B. gleicher Lohn für gleiche Arbeit. 

  • Seit 2004 wird Gewalt in der Ehe als Straftat gesehen.

Ja, wir haben das jetzt alles, aber es musste erkämpft werden, durch Frauen (und ihre Allies), die sich dafür einsetzten und sich gegen den Status Quo aussprachen und auflehnten.

Kehrseite der Medaille

Auch ist so ein traditionelles Hausfrau- und Mutterleben schlicht und einfach ein Pokerspiel. Gewinnen tun nur jene, die ihre Ehe über die Pensionsgrenze bringen. Die Scheidungsrate lag 2023 bei 38.3% (Quelle: bfs.ch). 

Und dann? Kein Job, keine Rente, keine Sicherheiten… Laut Gesetz ist der Mann seit 2022 nicht mehr verpflichtet, seiner Exfrau Alimente zu zahlen, nur noch den Kindern (Quelle: bger.ch). Das heisst – wenn eine Frau 15 Jahre lang «nur» Hausfrau ist, der Mann arbeiten geht und dann lassen sie sich scheiden. Dann macht er auf der Karriereleiter weiter, sie beginnt ganz unten. Die Pensionskasse wird zwar aufgeteilt, aber er zahlt nach der Scheidung auf seinem hohen Niveau weiter ein, die Frau hat ggf. gar keinen Job oder sicher einen weniger gut bezahlten, sprich auch weniger Rente. Ist das fair? Nein natürlich nicht. Aber es ist leider Realität. 

Klar, man soll nicht immer mit dem Schlimmsten rechnen. Vielleicht geht’s ja auch auf, «happily ever after», wie die Disneyfilme es uns doch schon lange schmackhaft machen. Das wünsche ich wirklich jeder und jedem! Ich persönlich würde mich einfach nicht darauf verlassen, v.a. nicht, wenn ich Kinder hätte.

Utopie?

Ja, es wäre schön, wenn wir das ganze System ändern könnten, am liebsten heute noch. Dann würden wir morgen aufwachen in einer Welt, in der Carearbeit wertgeschätzt und entlöhnt wird, in der es keine Gender-Gaps gäbe, in der alle Menschen eine gute Work-Life-Balance haben… Eine Welt, in der Frauen, die das möchten, 100% Mütter sein können, ohne Nachteile erleiden zu müssen. Dahin kommen wir aber nicht, wenn wir uns einfach einigeln, uns dem System entziehen, uns auf die “guten alten Zeiten” berufen. 

Es wäre einfach, die Tradwives und Soft Girls zu verteufeln. Aber ich glaube, sie sind ein Produkt unserer Gesellschaft. Sie zeigen uns auf, was falsch läuft, sie zeigen, woran wir arbeiten müssen. Und sie zeigen, dass wir eben noch lange nicht angekommen sind…

Hier noch ein Lesetipp auf dem Tagesanzeiger zum Thema Tradwives etc.

Was denkt ihr dazu? Könnt ihr den Rückzug ins Häusliche verstehen? Was löst diese Debatte in euch aus?

 
Nadine

Seit 2019 bewusst kinderfrei und zufrieden mit der Entscheidung.

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